"Ich lebe gerne, wenn ich nicht verwaltet werde."

Michael Mehnert, 1. Vorstand

Mein Weg in´s Arbeitgebermodell

Michael Mehnert

Seit 2018 darf ich die Rolle eines Arbeitgebers verinnerlichen. Dies ist ohne berufliche Erfahrungskompetenz überhaupt nicht leicht. In Anbetracht dessen, dass Eltern, Heimleitungen einem alles abnehmen, wie sollen dann Führungskompetenzen entwickelt werden können?? Um ein Beispiel hier zu benennen; Ich kaufte anfangs immer zu viel Lebensmittel ein, die ich nach Tagen dann Teilweise in die Mülltonne werfen lassen musste.

Für mich war das Arbeitgebermodell, anfangs wie der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Ich wusste zwar jetzt was ich anstellen muss, um ein selbstbestimmter Unternehmer zu werden, jedoch fehlten mir dazu wichtige Kompetenzen. So z.B. wurden mir wichtige Tools, die ich für einen sicheren Umgang mit meinen Angestellten, für eine gute interne Kommunikation und für die Schaffung eines guten Betriebsklimas benötige, hierzu nicht vermittelt. 

Stellt Euch vor, jemand stellt Euch ein schickes Auto vor die Tür, aber Ihr habt noch keinen Führerschein. Mir wurde erklärt, wie ich in das Arbeitgebermodell komme, Antrag stellen usw. Danach war ich auf mich selbst gestellt. Aus dieser schwierigen Situation heraus entstand in mir der Gedanke, einen Verein zu gründen, welcher sich dieser Kompetenzentwicklung annimmt, Selbstständigkeit in der Rolle zu erreichen für Menschen mit Beeinträchtigung, die dieses Arbeitgebermodell anstreben.

In der neuen Rolle eines Arbeitgebers Tipps für ein Einstellungsgespräch

Als Auftraggeber genießt man eine Autorität, die anders vielleicht noch nicht nutzbar war. Ob ein Leben bescheiden oder ausufernd ist, spielt hier keine Rolle. Das Leben ist so, wie du es als Arbeitgeber mit deinen Möglichkeiten gestaltest. Gegenüber Persönlichen Assistenten ist da nichts zu verteidigen. Du hast es geschafft, echter Auftragsgeber zu werden. Du bestimmst, wen du bezahlst. Also eine Rolle als guter Auftraggeber könnte so aussehen: 

Ich vergebe einen Job für einen Persönlichen Assistent, welcher mich unterstützt, mein Leben zu leben.

Ich pflege mit meinen Mitarbeitern respektvoll umzugehen und achte ihre Bedürfnisse, soweit als möglich

Bei der Persönlichen Assistenz geht es jedoch um meine Bedürfnisse. Also, ich suche jemanden, der mich unterstützt, so zu leben, wie ich will. Der meine Eigenheiten akzeptiert, mir nichts ein- oder ausreden will, der im Hintergrund bleibt, wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt trete, der meine Bedürfnisse anerkennt und nicht hinterfragt, kurz jemand, der mich dabei unterstützt Dinge zu tun, die er für doof findet - weil es keine Rolle spielt, wie eine Persönlicher Assistent das findet. Das ist eine große Herausforderung für einen Persönlichen Assistenten.

Wenn Du Dir das vorstellen kannst und versuchen willst, mich so zu akzeptieren, wie ich bin und bereit bist, mich in meinen Bedürfnissen unhinterfragt zu unterstützen, dann würde ich mich freuen, wenn du bei mir arbeitest.

Wenn Du das nicht annehmen kannst, kann ich das verstehen, es ist nicht leicht. Aber dann bist Du nicht der/die Richtige für mich.

Zum Nachdenken

Sich gegen o. mit den Eltern zu rebellieren. Am We. die halbe Nacht mit Leuten in der Kneipe rumhängen. Erster Kontakt mit Frauen, Alkohol, Joints rauchen usw. Grenzen austesten, um schließlich hoffentlich seine eigene Balance zu finden was gut tut u. was eher für die Dauer schädlich sein kann. Kater zu ertragen, wie kotz elend der sich anfühlt. Diese durchaus wichtige Lebenserfahrungen fehlen uns im Rollstuhl total. Weil uns oft überhütete Programme aufgelegt werden. Da hilft ein Behindertentaxi oft wenig, daß uns auch getaktet irgendwo hinfährt u, wieder mit fester Zeitangabe zurück bringt. Eine chaotische Lebensphase bleibt uns also verwehrt. Dies wollte ich zum Ausdruck bringen. Auch ist uns versicherungstechnisch anders in öffentliche Pflegeeinrichtungen vieles im Weg uns selbst zu finden. Schön verwaltet fühlt man sich eben sicher aufgehoben. 

Wie alles begann

Nachdem ich vor nun fast 30 Jahren aus der elterlichen Wohnung auszog, stellte mir 5 Jahre lang ein sozialer Dienst meine -damals- noch Zivis zur Alltagsunterstützung. Von Selbstbestimmung fühlte ich damals allerdings leider nicht so viel, wie ich mir gewünscht hätte. So musste ich beispielsweise einer für mich fremden Person, einen Wohnungsschlüssel aushändigen - zur "Überwachung" der Sauberhaltung "meiner Wohnung"... Ich dagegen wollte und will meine volle Verantwortung für mich und meine Wohnung selbst und vor allem eigenverantwortlich tragen.

Um dieser Situation zu "entkommen", fragte ich die -AWO-, ob sie für mich eine -ISB- Stelle einrichten könne. Mit Erfolg! Dort hat man mir respektvolles Hoheitsrecht zugestanden, was ich in meiner Wohnung und für mein Leben mache. Sogar für die Assistenzplanung war ich schon damals vollverantwortlich. 15 Jahre war ich bei der -AWO- in Karlsruhe.

 

 

Die Situation wurde allerdings immer schwieriger, denn es wurde 2009 der Zivildienst abgeschafft. Das bedeutete: Ich hatte nach der bisherigen Struktur nicht mehr die freie Wahl und Möglichkeit, von ca. 20 Zivis, einen für meine Situation und Umstände Passenden auszusuchen; Darum ist mir die Assistenzbörse so ungemein wichtig, bei und mit der sich interessierte Persönliche Assistenten rechtzeitig bewerben können, bevor eine Dienstzeit eines Persönlichen Assistenten zu Ende geht.

Mit diesem "kleinen Schritt" und dieser Institution, wäre gewährleistet, dass nie mehr die Angst im Spiel sein müsste, ... und wer kommt danach??? 

Mit dieser Idee ist auf einfache Weise sichergestellt, dass man - ohne Zeitdruck - die Tagesabläufe kennenlernt und vor allem sich der wohl wichtigste Faktor ergeben kann: Vertrauen, den "neuen Menschen" in seinen Alltag und Intimsphäre einlassen kann und möchte.

Sehr wichtig ist uns auch, dass unser eigenes Unternehmen ( Verein ) nur für Leute da sein soll, die sich mental trotz einer schweren körperlichen Beeinträchtigung fit genug fühlen und eigene Tagesstrukturen ohne Anleitung treffen möchten. Mit einem festen Profil im Dienst, kann sich auch der Persönliche Assistent in den Abläufen klar orientieren und einfügen, um sich einfühlsam mit seinem Arbeitsgeber zu allen Abläufen organisatorisch abzustimmen. 

 

 

Der Persönliche Assistent leistet so zu sagen, "nur" Hilfe zur Selbsthilfe.

Es gibt viele Institutionen, die bereits am Markt etabliert sind, wo vor allem betreut werden muss. Unser Vorhaben DARF nicht damit vermischt werden, sonst ist der Sinn vollständig verfehlt. Wir wollen die Gewährleistung einer selbstbestimmten Intimsphäre in den eigenen 4 Wänden - und das TROTZ schwerer körperlicher Beeinträchtigung!!

Wenn das bewahrt bleiben kann, können nach meiner Erfahrung, Prozesse in Gang gesetzt werden und entstehen, um selbst bewusster auch auf die Gesellschaft zu zurollen, um am realen Leben teilhaben zu können, ja sogar bis in ein Arbeitsleben hinein reichen.

Man hat es ja schließlich auch zu Hause drauf, sich mit der

Persönlichen Assistenz - auf Augenhöhe u. Respekt - auseinander zu setzen und klar Notwendigkeiten, Strukturen und Prioritäten abzusprechen. Mit dieser Sicherheit schafft man es auch deutlich einfacher, sich selbstbewusst der Außenwelt zu stellen.

Selbstständige Reise durchs Leben

Mit meinem E-Rolli fuhr ich selbständig von Karlsruhe über die Grenze nach Frankreich und erlebte einen schönen Tag in Lauterbourg.

Ich bin so geboren!! Kenne nicht zu Laufen, springen wie Andere. Deshalb drückte ich im Schulbus auf der Fahrt öfters meine Nase an der Fensterscheibe platt, wenn ich andere Kinder morgens zur Schule radeln sah. Ich wurde im Schulbus in eine Sonderschule transportiert. Unter Wehmut fragte ich mich während ich an meinem Körper herunter sah; Warum kann ich den jungen Schülern nicht einfach spaßig in eine herkömmliche Schule folgen?? Heute fahre ich weite Strecken von ca. 40 km Entfernung in meinem elektrischen Rollstuhl mit einer Kinnsteuerung; Ganz selbstverständlich weg!! Wenn Kinder in der Schule das Fahren eines elektrischen Rollstuhls angeboten würde zu üben, so wäre das Können u. beherrschen im Straßenverkehr überhaupt kein Thema.

 

Übrigens mit ca. 14 Jahren wurde mir in der Behinderten-Institution prophezeit; Ich könne so ein Ding niemals fahren. Und heute kann ich solche weiten Tagesfahrten selbstständig unternehmen u. bin auf fremder Unterstützung kaum noch angewiesen.

Erlebnisbericht mit Persönlicher Assistenz

Persönliche Assistenten erfüllen spontan ganz andere Aufgaben

Einem Menschen mit Beeinträchtigung wird oftmals beigebracht, den Tag nach einer fremd bestimmtem Tagesregelung zu befolgen. Sämtliches muß eingeteilt und über mehrere Tage zuvor, fast pingelig organisiert werden. Doch er möchte eigenständig und selbstverantwortlich Entscheidungen über seine Angelegenheiten treffen. Ich rede hier aus eigener Erfahrung. Inzwischen lebe ich in einer eigenen kleinen  Mietswohnung in Karlsruhe. 24 Stunden am Tag habe ich eine Persönliche Assistenzbegleitung die mich dabei unterstützt, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich habe eine schwere spastische-athetotische Körperbehinderung. Ich kann nicht laufen, nicht selbständig auf die Toilette gehen, kann kein Essen kochen, bekomme die Mahlzeiten gereicht, beim An u. Ausziehen benötige ich auch fremde Hilfe usw. Ich habe also die höchste Pflegestufe.

Trotzdem kann ich mein Leben selbst bestimmen und klar entscheiden, was für mich gut ist und was nicht. Mein Selbstbewusstsein habe ich durch meine Familie, Freunde und seit meinem Auszug von Zuhause, auch durch meine Persönliche Assistenz entwickelt. Diesen Text habe ich vollständig mit dem Mund eingetippt. Mein Zahnarzt fertigte mir dazu extra fürs Schreiben eine Spange mit gebogenem Stab an, der bis an die Tastatur des Computers reicht. Damit tippte ich auch in 7 Jahren, das Buch Warum kannst du nicht fliegen?, das ich vor einigen Jahren veröffentlichen konnte.

Vor allem konnte ich durch „früher noch Zivis“ jede Menge Spontaneität und Unternehmungsfreude entwickeln. Einfach mal frei nach Lust und Laune zu leben. Einige Beispiele möchte ich anführen: Ich hatte eines Abends Lust auf ein warmes Vollbad. Diesen Beschluss hätte ich jedoch fast schwer bereut, weil mich ein unerwarteter Anruf aus dem Trott der Gewohnheit riss. Karin aus meinem Freundeskreis; erinnerte mich eindringlich an ihren heutigen Geburtstag. Puh, den hatte ich peinlicherweise ganz vergessen! Ich versuchte ihr zu erklären, daß ich gerade aus der Badewanne gekommen bin und splitternackt mit nassen Haaren dasaß. Daraufhin fiel mir Karin energisch ins Wort und meinte: Na und? Anziehen und bitte kommen! Da sah ich wohl etwas verlegen Marco, meinen damaligen Zivi an. Etwas verunsichert fragte ich ihn: “Könnten wir vielleicht?“ Daraufhin zwinkerte mich Marco schelmisch an, und antwortete: „Na klar, das ist doch kein Problem, dich habe ich ganz fix angezogen. Mein Auto steht direkt vor deinem Haus.“ Karin erklärte Marco noch wie er fahren mußte, und der Abend verlief ganz anders als geplant. Dieses Erlebnis wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Von der Badewanne heraus, bin ich noch nie zu einem Geburtstag gegangen. Für Marco war das überhaupt nichts Besonderes; Er mache so fixe Sachen öfters. Besonders, wenn junge Frauen im Spiel sind, erzählte er mir lächelnd, während er mir die Hose anzog. Es wurde ein gelungener Abend. Oftmals sind spontane Unternehmungen viel schöner als lange geplante Sachen. So sind halt junge Zivis drauf, meistens noch richtig unbeschwert und voller einfallsreicher Gedanken.

Ein anderer Zivi, der Klaus, verspürte einmal richtige Lust mit meinem alten elektrischen Rollstuhl zu fahren. So fuhren wir beide vergnüglich, – ich mit meinem neuen E-Stuhl – nebenher, in den ca. 4 km. entfernten Kolossa- Einkaufsmarkt. Dort mußte ich meinen Wocheneinkauf  erledigen. Das war ein Spaß, bis Klaus seine richtige Fahrpraxis heraus hatte. Erleichtert betätigte er meine Kinnsteuerung mit der Hand und eine spannende Fahrt begann. Selbst im „Kolossa“, blieb Klaus im E-Stuhl sitzen, und versuchte sein Bestes, um keine Regale zum Einstürzen zu bringen. Eine Käseverkäuferin gab uns ein Häppchen Käse zum Probieren. Dabei wurden wir als Brüder angesehen und bedauert. Selbst als wir an die Kasse fuhren, blieb Klaus im E-Stuhl sitzen und ließ sich von den Leuten helfen. Oh, war das eine herrliche Gaudi!

Nikolai, ein weiterer Zivi, führte mich durch vorausgehende Gespräche, an meine verdrängte Sexualität heran. Mit ihm zusammen als  Begleitung wagte ich mich erstmals, – damals war ich 39 Jahre alt – einmal zu einer Prostituierten zu gehen. Diese erste Erfahrung mit meiner Sexualität schloss in meiner Seele ganz viele Türen auf. Auch wurde mir dabei so richtig bewusst, dass ich eigentlich auch einen attraktiven Körper habe. Vor allem war ich wahnsinnig stolz, daß Nikolai mir das als Mann, völlig zugetraut hatte. Bis heute gönne ich mir  gelegentlich diesen Spaß, und bin dadurch seelisch sehr gewachsen. Selbst von meinen Muskeln her, – von den Spasmen – verspüre ich seither eine erhebliche Lockerung.

Ich könnte noch über viele Erlebnisse mit meiner Persönlichen Assistenz erzählen, so z.B. wenn es um das Kochen geht. Aber das würde hier zu weit führen.

Warum ich diesen Beitrag geschrieben habe? Von meinen Ansprüchen, fühle ich mich mit meiner Persönlichen Assistenz nicht, wie einmal befürchtet, nur betreut, sondern echt ernst genommen. Sie merken einfach, daß ich ganz einfach Leben möchte. Deshalb finde ich auch Schulungen zur Bewußtseinsförderung und Reflexion des eigenen Lebens für Persönliche Assistenten, auch so ungemein wichtig. Seit Jahren bin ich Gastlehrer in den Schulungen.